“Behaupten Sie nicht, Netto-Null zu sein, während Sie weiter neu in fossile Brennstoffe investieren.”
Dr. Werner Hoyer, Präsident der Europäischen Investitionsbank im Gespräch mit der dfv Euro Finance Group über die EU-Taxonomie, die aktuelle politische Lage und seine Wünsche für die grüne Finanzbranche.
dfvEFG: Herr Dr. Hoyer, wie beteiligt sich die EIB an der Arbeit der EU-Kommission zur Nachhaltigkeitsregulierung? Was sollten hier die nächsten Schritte sein?
Dr. Werner Hoyer: Die Europäische Investitionsbank hat 2007 den ersten grünen Bond begeben, und sie war von Anfang an an der Entwicklung des EU-Aktionsplans für nachhaltige Finanzen beteiligt. Wir waren Teil der High Level Expert Group on Sustainable Finance (2016-2018), dann der Technical Expert Group (2018-2020) und sind seit 2020 ständiges Mitglied der „Platform for Sustainable Finance“, der ständigen Beratungsgruppe der Europäische Kommission.
Wir haben an der Entwicklung der EU-Taxonomie, am EU-Vorschlag für den Green Bond Standard und an vielen internationalen Arbeitsgruppen teilgenommen, und wir arbeiten an Ideen zur Ausweitung der Taxonomie auf schädliche oder Übergangsbereiche der Wirtschaft mit. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die EIB den Inhalt der Verordnung diktiert. All diese Arbeitsgruppen sind nur beratend tätig, die Kommission macht eigene Vorschläge, und die Gesetzgebung nimmt ihren eigenen Lauf.
Die EIB ist allerdings einzigartig positioniert: Wir verfügen für unsere Projekte über technische Expertise, während wir gleichzeitig als großer Kreditgeber für große und kleine Unternehmen fungieren und seit Jahren Präsenz an den Kapitalmärkten zeigen.
Die EIB ist zudem Vorreiter bei der Anwendung der Taxonomie auf die eigenen Operationen, auf unsere Umweltdarlehen sowie auf unsere eigenen Klima- und Nachhaltigkeitsanleihen. Darüber sind unsere Kollegen zu inoffiziellen Botschaftern der regulatorischen Entwicklungen in der EU geworden.
Die Hauptaufgabe für die Zukunft besteht nun darin, die Nutzbarkeit der Taxonomie zu verbessern und zusätzliche Wirtschaftssektoren einzubeziehen. Natürlich hoffen wir auch, dass der Green Bond Standard bald das Licht der Welt erblickt.
dfvEFG: Wie wendet die EIB die EU-Taxonomie auf ihre eigenen Anleiheprodukte an?
Dr. Wener Hoyer: Die EIB hat in ihrer Klimabank-Roadmap bis 2025 ihre Pläne skizziert: Dazu zählt, dass wir unsere Definitionen für grüne Finanzierungen schrittweise an den Rahmen der EU-Taxonomie-Verordnung anpassen, während diese sich weiterentwickelt. Zweitens, dass wir diese Anpassung anwenden. indem wir die Berechtigung zur Zuteilung aus den Climate and Sustainability Awareness Bonds (CABs und SABs) an den Kapitalmärkten ausweiten. Und drittens, dass wir CABs und SABs schrittweise an den entstehenden EU Green Bond Standard anpassen.
Unsere CAB/SAB-Rahmenwerke bieten mit ihren geprüften Allokations- und Wirkungsberichten heute die höchsten auf dem Markt erhältlichen Sicherheiten. Sie sind Teil des schrittweisen Offenlegungsprozesses für die Anwendung der EU-Taxonomie auf der Kreditgeberseite geworden. Dies ist nicht auf den Bereich „wesentlicher Beitrag“ beschränkt. In den Bereichen “Do-no-significant-harm“ und „Minimum Safeguards“ hat die EIB als erste Institution ihre Umwelt- und Sozialstandards mit den Bestimmungen der Artikel 17 und 18 der EU-Taxonomie vergleichbar gemacht. Damit haben wir eine Plattform für weitere Verbesserungen auch in diesen Bereichen geschaffen.
dfvEFG: Wie kommt die EIB dem erhöhten ESG Datenbedarf aufgrund der neuen Rechtsvorschriften nach?
Dr. Werner Hoyer: Die EIB ist seit über einem Jahrzehnt führend in der Nachhaltigkeitsberichterstattung. Ein spezifischer, robuster und allgemein zugänglicher Berichtsrahmen ist unumgänglich, um einen harmonisierten Ansatz für die Nachhaltigkeitsberichterstattung zu gewährleisten: Das Ziel ist die Berichterstattung über Auswirkungen, Risiken und Chancen im Nachhaltigkeitsbereich auf die gleiche Stufe mit der Finanzberichterstattung zu heben.
dfv EFG: Sie setzen sich stark für die Ukraine ein, um eine gemeinsame grüne Netto-Null-Agenda zu verfolgen. Wie lässt sich die europapolitische Lage mit den globalen Klima-Herausforderungen in Einklang bringen?
Dr. Wener Hoyer: Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine zwingt Europa, möglichst schnell unabhängig von fossilen Energien aus Russland zu werden. Investitionen in den Ausbau Erneuerbarer Energien bringen uns diesem Ziel am schnellsten näher – und helfen gleichzeitig dem Klimaschutz. Wir hoffen, dass in all den Schrecken des Krieges die klimagerechte Transformation der Wirtschaft einen Schub erhält.
dfv EFG: Welche konkrete Entwicklung/Entscheidung wünschen Sie sich für die (grüne) Finanzbranche bis zum Auslaufen der Klimaziele 2025 des Pariser Abkommens?
Dr. Wener Hoyer: Unsere Wunschliste ist ziemlich lang. Vor allem wünschen wir uns einen schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien, um den Ausstieg aus fossilen Energien zu beschleunigen. Das wäre die Voraussetzung auch dafür, künftig größere Mengen grünen Wasserstoff produzieren zu können. Wir würden uns zudem freuen, wenn unsere Entscheidung, keine neuen fossilen Kraftwerke mehr zu finanzieren, in größerem Umfang aufgegriffen würde. Wir brauchen gewaltige Investitionen und Finanzierungen für die Umstellung auf grüne Energie, überall, und alle im Finanzsektor sollten ihr Geld so einsetzen, wie sie es den Anlegern versprechen. Behaupten Sie also nicht, Netto-Null zu sein, während Sie weiter neu in fossile Brennstoffe investieren.
dfvEFG: Vielen Dank Herr Dr. Hoyer!