“Frankfurt hat sich die ESG-Kriterien nicht nur 2021 in den Koalitionsvertrag geschrieben, sondern arbeitet auch aktiv an deren Umsetzung. “

Stephanie Wüst ist Dezernentin für Wirtschaft, Recht und Stadtmarketing der Stadt Frankfurt am Main. Im Interview des Monats mit der dfv Euro Finance Group verrät sie, wie sich das Stadtbild in puncto Nachhaltigkeit verändert hat, wie die Zukunft Frankfurts als „Green Hub“ aussehen wird und welche strategische Rolle Startups bei der Ansiedlung in der Mainmetropole zukommt.

dfv EFG: Liebe Frau Wüst, Banktürme und Hochhäuser bestimmen maßgeblich das Bild der Frankfurter Skyline. Welche Veränderungen beobachten Sie bei einem Stadtspaziergang, wenn Sie an das Thema Nachhaltigkeit denken?

Stephanie Wüst:

Wann immer es mein Terminkalender zulässt, genieße ich es in Frankfurt spazieren zu gehen. Beim Einkaufsbummeln in unserer Innenstadt und den Stadtteileinkaufsstraßen sehe ich Betriebe, die in vierter oder fünfter Generation Lebensmittel, Kleidung oder andere Waren des täglichen oder ausgefallenen Bedarfs anbieten. Diese Handwerkskunst, von Generation zu Generation weitergegeben, ist der Inbegriff von Qualität und Nachhaltigkeit. Ist es nicht ein schönes Gefühl eine Ware zu kaufen, an der auch noch unsere Kinder und Enkel Freude haben werden? Genauso sehr wie Einkaufsbummel liebe ich allerdings auch Ausflüge in den Niddapark mit meinem Hund und Aufenthalte am Mainufer. Da fällt erst so richtig auf, wie grün unsere Stadt tatsächlich ist. Parks und Bäume schmücken den öffentlichen Raum, Pflanzen auf den Balkonen den privaten. Dort finden sich auch mehr und mehr Solaranlagen, die mir zeigen, dass die Transformation der Energieerzeugung in vollem Lauf ist. Was man auf den ersten Blick nicht sieht, aber als Kommunalpolitikerin weiß: Hinter den Gebäudewänden steckt viel nachhaltige Technologie. Neue Hochhäuser, die von privaten Investoren hochgezogen werden, genügen modernsten Nachhaltigkeitsstandards – allein ca. 260 Gebäude sind als nachhaltig zertifiziert. Die Stadt trägt in ihrem Gebäudebestand ihren Teil zu dieser positiven Entwicklung bei.

dfv EFG: Um den Finanzplatz Frankfurt zu stärken, bemühte sich die Stadt vor zwei Jahren um die Ansiedlung des International Standards Boards (ISSB) – mit Erfolg. Welche weiteren Projekte verfolgen Sie, um das Qualitätsversprechen des Green Finance Hub Frankfurt auch in Zukunft aufrecht halten zu können?

Stephanie Wüst: Wir unterstützen zum Beispiel das Green Finance Forum als Flagship-Veranstaltung zum Thema nachhaltige Finanzierung in Frankfurt. Bereits im meinem ersten Jahr als Wirtschaftsdezernentin habe ich 2021 das Schlusswort des 7. Green Finance Forums übernommen. Schon damals haben mich die Themenvielfalt und die hohe Wertigkeit der Beiträge fasziniert. Im vergangenen Jahr hat dann die Wirtschaftsförderung einen Deep Dive mit sieben Frankfurter und internationalen Start-ups mit Fokus auf Sustainable Finance and ESG organisiert und moderiert. Und in diesem Jahr beteiligen wir uns an einer Paneldiskussion zum Standort Frankfurt, auf die ich mich schon sehr freue. Es ist für uns als Stadt Frankfurt sehr wichtig, ESG-Themen und nachhaltigen Finanzierungen eine starke Plattform zu bieten.

Wir unterstützen darüber hinaus das ISSB (International Sustainability Standards Board) bei seiner weiteren Entwicklung und Vernetzung am Standort Frankfurt. Dabei werden sowohl der wissenschaftliche Austausch des ISSB mit den Hochschulen intensiviert als auch Fachkonferenzen rund um das Thema Nachhaltigkeit initiiert. So hat am 12. Juni auf dem Campus der Goethe-Universität die erste Konferenz des ISSB mit über 200 Teilnehmern stattgefunden, die vor allem aus dem Ausland extra angereist sind. Das bestätigt, welche Strahlkraft das ISSB für Nachhaltigkeitsthemen hat.

Die erfolgreiche Ansiedlung des ISSB 2022 in Frankfurt ist daher eine große Bereicherung für den Finanzplatz. Das ISSB erarbeitet bereits im zweiten Jahr seines Bestehens global einheitliche Regelempfehlungen für das Berichtswesen von Unternehmen in Bezug auf Nachhaltigkeitsthemen. Damit bietet sich die Chance, durch klar definierte Standards „Greenwashing“ und ESG-Bilanz- und Berichtskosmetik zu reduzieren. Perspektivisch wird sich in Frankfurt ein Green Finance Cluster entwickeln mit dem ISSB als Kompetenzzentrum. Dafür müssen wir aber auch noch einiges auf den Weg bringen in Sachen Vernetzung der Akteure und Know-how Vermittlung.

Ein weiteres Projekt, an dem wir intensiv arbeiten, ist die aktuell laufende Bewerbung um die zukünftige Europäische Agentur zur Geldwäschebekämpfung (AMLA). Für neue EU-Behörden sind besonders nachhaltige und ökologische Immobilien ein wichtiger Bestandteil des Anforderungsprofils. Hier haben wir als Standort den großen Vorteil, der Europäischen Union gleich mehrere klimafreundliche Objekte anbieten zu können.

dfv EFG: Junge Unternehmen sind Vorreiter für nachhaltige Geschäftsideen. Welche strategische Bedeutung nimmt die Ansiedlung von Start-ups in der Mainmetropole für Sie ein? Wie muss sich das Eco-System vor Ort weiterentwickeln?

Stephanie Wüst:

Start-ups sind Wegbereiter der digitalen Transformation und Innovationskatalysatoren für neue Produkte, Services & Geschäftsmodelle. Ihre Ansiedlung ist daher essenziell, um als Wirtschaftsstandort konkurrenzfähig zu bleiben. Kooperationen zwischen Start-ups und etablierten Unternehmen sorgen oft für eine Win-Win-Situation. Während sich für alte Hasen Chancen zur Prozessoptimierung und Investition ergeben, öffnen sich für Gründer Zugänge in den Markt, zu Erfahrungsschätzen, Infrastrukturen und Branchenwissen. Der Blick von außen und die frische Perspektive von Partnern helfen beiden Seiten, sich selbst und ihre Produkte weiterzuentwickeln. Nicht umsonst arbeiten etwa 75 Prozent der Start-ups bereits branchenübergreifend mit etablierten Unternehmen zusammen.

Start-ups können durch ihre disruptive Denkweise etablierten Unternehmen helfen, innovative Lösungen effizienter zu entwickeln. Durch flache Hierarchien und flexible Prozessabläufe lassen sich oft schneller Lösungsansätze generieren. Nicht ohne Grund greifen immer mehr DAX-Unternehmen auf Kooperationen mit Start-ups zurück.

Nach dem Startup State Hesse Facts and Figures Report 2022 sind 513 Start-ups in Frankfurt aktiv. Damit sticht Frankfurt deutlich als Leuchtturm in Hessen hervor und zählt zu den größten Start-up Zentren in Deutschland. Das Start-up Ökosystem ist in den vergangenen Jahren merklich angewachsen, hat internationale Sichtbarkeit erreicht und zählt mittlerweile zu den Top 30 Start-up Ökosystemen weltweit. Als Schwerpunkt-Hub für Fintech und Cybersecurity im Rahmen der de:hub Initiative, unterstreicht Frankfurt auch seine Rolle als Startup Zentrum der Finanzindustrie.

Zukünftig gilt es, diese Innovationen von Morgen an unserem Standort zu halten und insbesondere auch deren Weg zu ebnen. Wir brauchen den Mut zu Frühphasen-Investments, der in Frankfurt und generell in Deutschland bislang noch eher verhalten ausfällt. Außerdem muss die Unternehmensgründung auch in bürokratischer Hinsicht vereinfacht werden.

dfv EFG: Die Bedeutung des Themas Nachhaltigkeit ist sowohl in der Finanz- als auch in der Realwirtschaft enorm gewachsen. Tendenz steigend. EU-Taxonomie, CSRD-Richtlinie oder ESG-Kriterien – die entstandenen regulatorischen Parameter sind so umfangreich wie tiefgreifend in ihrem Transformationsanspruch. Wie können Ihrer Meinung nach Kommunen dieses Streben zur Erfüllung von ESG-Zielen für ihre eigenen Nachhaltigkeitsstrategien nutzen?

 

Stephanie Wüst:

Frankfurt hat sich die ESG-Kriterien nicht nur 2021 in den Koalitionsvertrag geschrieben, sondern arbeitet auch aktiv an deren Umsetzung. Das geschieht sowohl im Magistrat, als auch bei den städtischen Beteiligungen. Die Stadt folgt bei Investitionen den Leitlinien kommunale Daseinsvorsorge, Nachhaltigkeit und Umsetzung der Zielvorgaben des Koalitionsvertrages von 2021.

Der 2010 eingeführte Public Corporate Governance Kodex für die Beteiligung an privatrechtlich konstituierten Unternehmen regelt ESG-orientiert die Steuerungsmechanismen zwischen den Organen der kommunalen Unternehmen einerseits und den Organen der Stadt Frankfurt, also der Stadtverordnetenversammlung, dem Magistrat, dem Beteiligungsmanagement und der Verwaltung andererseits.

Die Weiterentwicklung des Kodex wurde am im Frühjahr 2023 von der Stadtverordnetenversammlung in Bezug auf Risikomanagement, Compliance Management und Diversität beschlossen. Zudem wird in der Präambel des Kodex darauf verwiesen, dass bei der kommunalen Daseinsvorsorge die Selbstverpflichtung der Stadt Frankfurt am Main zu beachten ist, bis zum Jahr 2035 klimaneutral zu werden.

Ein weiteres Positiv-Beispiel ist das Nachhaltige Gewerbegebiet, ein Pilotprojekt zur Weiterentwicklung eines Frankfurter Industrie- und Gewerbestandorts nach ökonomischen, ökologischen und sozialen Kriterien. Basierend auf einem Beschluss der Stadtverordnetenversammlung im Dezember 2015, sollen die Gewerbegebiete Fechenheim-Nord und Seckbach in einem kooperativen Prozess mit den ortsansässigen Betrieben modellhaft zu nachhaltigen Gewerbegebieten im Sinne der Machbarkeitsstudie entwickelt werden. Die Umsetzung erfolgte durch Wirtschaftsförderung Frankfurt GmbH und das Energiereferat der Stadt Frankfurt mittels Standort- und Klimaschutzmanagement in einem Standortbüro vor Ort. Aufgrund des Erfolgs wurde dieses Jahr ein zweites Projekt im Stadtteil Nieder-Eschbach gestartet.

 

dfv EFG: Liebe Frau Wüst, herzlichen Dank.